Kolumne

Picassos Thron ist angesägt

Verliert die alte Welt an Wert?

Erstmalig hat Ende 2020 ein Bild des Street Art Künstlers Banksy auf einer Auktion in London, mehr Geld eingebracht, als ein Portrait von Picasso. Über 8 Millionen EUR wurden für „Show me the Monet“, eine Anlehnung an die Arbeiten des Impressionisten Claude Monet, gezahlt. Picassos „Tête d’Homme“ wirkte dagegen mit einem Gesamterlös von 4.4 Millionen EUR beinahe ungebührlich platziert. Zeitgleich erlöste die Arbeit „Elevator“ der 45-jährigen Amerikanerin Dana Schutz bei einem anderen Auktionshaus mit 6,5 Millionen USD das Doppelte ihres Schätzpreises und schlug Andy Warhols Zeichnung „Cambell´s Soup Can“, die für 6,1 Millionen USD neue Besitzer:innen fand. Sechs Jahre zuvor erzielte dieselbe Arbeit noch ein Auktionsergebnis von 7,4 Millionen USD. Das erzeugte ein nachhaltiges Echo.

Sind die ertragreichen Jahre mit den Blue-Chip Künstler:innen etwa angezählt? Und wenn ja, welche Kräfte sind für den Shift verantwortlich?

Das Geld

Mehr als 2.000 Milliardär:innen weltweit zählte das amerikanische Wirtschaftsmagazin Forbes in 2020. Die Mehrheit konnte ihren Reichtum trotz, oder teils auch gerade wegen der globalen, pandemiebedingten Disruption sogar noch weiter steigern. Sie kommen aus Amerika und China und machen ihr Geld in den Sektoren Gesundheit, Industrie sowie Technologie. Ein Teil dieses Geldes wird auf den größten Handelsplätzen für Kunst, sprich New York und Hongkong, wieder investiert. Die Rendite, die dabei mit der Kunst zu machen ist, ist für die Mehrzahl der Käufer:innen allerdings zu mager. Auch kann es lange dauern, bis der Gewinn einer Arbeit realisiert werden kann. Gekauft wird deshalb gerade im Auktionsmarkt vermehrt, was im Begriff ist, sich einen Namen zu machen. Und, nicht zu vergessen: was den neuen Besitzer:innen Freude zu bereiten scheint. Diese Freude darf dementsprechend auch ihren Preis haben.

Die Unsicherheiten

Schaffen viel Geld und wenig Erfahrung volatile Kunstmärkte? Dies nur den engagierten Käufer:innen anzulasten, wäre zu einfach gedacht. Die Unsicherheiten sind allen Ortes zu spüren. Zudem gilt die Regel, dass der Wert zeitgenössischer Kunst sich oftmals erst über die Jahre herausbildet und es schwierig ist, diesen jetzt zu schon verlässlich zu bepreisen. Im Herbst und Winter 2020 tendierten die Auktionshäuser für dieses Segment zu niedrigen Schätzungen: möglicherweise zu niedrig. Zudem gab es keine sicheren Prognosen, wie sich die zweite Lockdown-Phase in Europa und die politische Lage in Amerika entwickeln und im Kunstmarkt niederschlagen würde. Und so konnte es Beobachter:innen auf den folgenden Auktionen zwischenzeitlich schwindelig werden. Die Gebote für zeitgenössische Kunst gingen preislich durch die Decke. Eine Verdoppelung oder Verdreifachung der ursprünglichen Schätzpreise war eher die Regel, als Einzelfall. Besonders die internationale, jüngere Käuferschaft trieb die Preise nach Aussagen der Auktionshäuser nach oben. Nicht lange auf sich warten ließen entsprechend die Klagen über das Schwinden kultureller Ideale, Werten und Wurzeln. Einiges Augenbrauenrunzeln erntete die Tatsache, dass vor einem Jahr im Primärmarkt erworbene Arbeiten nun schon wieder für Auktionen eingeliefert wurden.

Ein eisernes Gesetz des Kunstmarkts lautete bislang, dass belohnt wird, wer die künstlerische Idee (oder Vision) zuerst umgesetzt hatte. Die neue Fusion aus zeitgenössischen Künstler:innen, jungen Käufer:innen und dem Internet mit seinen Technologien hat ihre eigenen Gesetze. Im Kunstmarkt wird längst damit verdient, wer eine Idee zuletzt hatte und online wirkungsvoll darauf aufmerksam macht. Zudem läuft der Nachschub an gegenwärtiger Kunst weiterhin ungebrochen, während am traditionellen Markt Flaute zu herrschen scheint. Das Problem ist somit hausgemacht.

Die Herausforderung: Private Sales

Verschwiegenheit und Offenheit sind ungleiche Geschwister im Kunstmarkt. Während aktuelle Studien zeigen, dass für Käufer:innen der große Gewinn aus der Pandemie die langersehnte Transparenz im Kunstmarkt ist, wuchs in der Krisendämmerung eine interessante Gegenbewegung heran: der diskrete Private Sale. Hier wechseln Arbeiten unter Ausschluss jeder digitalen oder analogen Öffentlichkeit und ohne großes Medienecho in neue Hände.

Für die Auktionshäuser sind die Privatverkäufe Fluch und Segen zugleich. Der Benefit: In einem unbeobachteten Umfeld gehen leichter große Summen über den Tisch. Das bringt wichtige Umsätze und bindet Kund:innen ans Unternehmen. Die Kehrseite der Medaille: Es fehlen die großen Namen als Zugpferde für Auktionen. Prestigeträchtige und für Auktionen lebensnotwendige Lose werden nicht eingeliefert. Die hohe Nachfrage auf dem Auktionsmarkt trifft auf Besitzer:innen, die in Krisenzeiten gerne behalten, was sie haben. Oder es, bei Belieben, gerne äußerst unauffällig veräußern.

Es tut dem Kunstmarkt gut, dass seine Glaubenssätze in Frage gestellt werden. Denn so wie jedem neuen Anfang ein Zauber innewohnt, haben frische Arbeiten und Werte nun die Chance, sich zu etablieren und zu wachsen. Den Untergang der Blue Chip Künstler:innen gibt es trotzdem noch nicht zu beweinen.

Wenn es durch die Pandemie in 2020 eine Delle im Auktionsmarkt gab, so ist sie – bis auf die Ausnahme eines großen Auktionshauses – bislang noch eine sanfte Einbuchtung: Die Umsätze der größten Häuser tangieren nach wie vor im Milliarden-Bereich. Picassos Thron ist vielleicht angesägt. Aber für einen kapitalen Sessel reicht es immer noch.