Kolumne

Kunst & Prognosen 2020 – Wohin entwickelt sich der Markt? Ein Blick auf die nächsten Monate

Kunstkäufer*innen finden sich heute in jedem Winkel der Welt. Sie entdecken eigenständig Künstler*innen für den großen Markt oder erheben, z.B. als Influencer*innen, Kreative zu Künstler*innen und das, was sie machen zur Kunst. Das traditionelle Verständnis von Kunst wird 2020 weiter aufbrechen; die Definitionshoheit über sie von den Experten*innen und renommierten Sammler*innen hin zu trendsuchenden und -setzenden Individuen verschoben. Auktionshäuser öffnen sich weiter verkaufsfördernden Kooperationen und der Handel mit Kunst erfährt einen Kontextwandel, um neue Käufergruppen durch Exklusivität, Design und angesagte Lifestyles anzusprechen.

In medias res – zur Sache

Die Frage nach der Daseins-Berechtigung in der Kunst wird im Technologiezeitalter allen Protagonist*innen des Kunstgeschäftes gestellt werden. Der Kunstmarkt sieht sich im neuen Jahr mit Grundsatzfragen konfrontiert: Wer bestimmt heute, was Kunst ist? Wie stark ist der Wert von Kunst von schnell wechselnden Trends beeinflusst? Wie kommerziell darf Kunst werden? Welche neuen Aufgabenfelder ergeben sich durch den Paradigmenwechsel, welche entfallen? Wie versteht sich Kunst im Kontext von globalen Herausforderungen aus Politik, Umwelt und Gesellschaft? Und: Können Roboter Kunst?

Offline versus online

Immer mehr Kunstkäufer*innen erwerben ihre Schätze online, einem stetigen Trend folgend. 2017 schätzte der UBS Art Market Report den weltweiten Ertrag durch Kunsthandel online noch auf 5,4 Mrd. USD, für 2022 sind bereits über 9 Mrd. USD angesetzt. Gleichzeitig finden immer neue Käufergruppen über das Online-Medium Zugang zum Markt, die individualisiert angesprochen werden müssen. Künstliche Intelligenz zum Speichern und Prognostizieren von Käufergewohnheiten und -entscheidungen ermöglicht großen Auktionshäusern und Galerien personalisierte Empfehlungen mit Aussicht auf Verkaufserfolg.

Millenials sind dabei im World Wide Web die Kunstkäufergruppe Nummer 1 in der niedrigen bis mittleren Preiskategorie. Ihr routinierter Umgang mit Online-Marktplätzen bringt sie gegenüber den älteren Generationen deutlich in Vorteil. Die Auktionsriesen, wie Christie’s, Sotheby’s, Poly Auction und Phillips, investieren große Summen in digitale Technologien, um sich den Bedürfnissen des immer jünger werdenden Marktes anzupassen.

Gleichzeitig werden virtuelle Technologien zugänglicher und Benutzeroberflächen noch intuitiver, um alle Käufergruppen einzubinden. Digitale Anwendungen bieten spannende Modelle für sämtliche Prozesse vom virtuellen Galerierundgang bis zur digital kuratierten Ausstellung.

Der Einfluss von Social Media auf den Kunstkauf nimmt in den kommenden Jahren weiter deutlich zu. Instagram und WeChat gelten bereits heute als Zugpferde, um ihre Nutzer in puncto Trends in der Kunst und Kaufkraft zu mobilisieren.

Künstliche Intelligenz

Für die Prognose von Preisentwicklung von Werken von Künstler*innen überlassen die Weltmarktführer*innen vorerst nichts dem Zufall. Unternehmen wie die Kunstplattform Artsy kaufen Start-ups ein, die mithilfe maschinellen Lernens aufstrebende Stars im Markt vorhersagen sollen. Öffentlich verfügbare Daten, z.B. Verkäufe, werden mit der kulturellen Bedeutung der Künstler*innen, ihrem Potenzial und den Algorithmen von Artsy angereichert. Mitbegründer des gekauften Start-ups ArtAdvisor ist Lucas Zwirner, Sohn von David Zwirner, einem der weltweit einflussreichsten Galerist*innen. Larry Gagosian, unangefochtener Gigant auf dem internationalen Kunstparkett, steht wiederum Artsy als Berater zur Seite.

Dort, wo im Kunstmarkt Geld zu machen ist, kanalisiert sich die Aufmerksamkeit der führenden Galerist*innen. Künstliche Intelligenz, die sich kreativ betätigt, ist in diesem Jahr ein solcher Fokuspunkt, inklusive spannender Diskussionen: Kann Künstliche Intelligenz Kunst mit Bedeutung, dem sogenannten tieferen Sinn, schaffen? Welchen Anteil an der Kunst haben die Programmierer*innen der KI, die das Werk am Ende anfertigt? Und wie verstehen Künstler*innen selbst ein Werk, dass sie gemeinsam mit Künstlicher Intelligenz entstehen lassen?

Während führende Auktionshäuser auf der Suche nach dem nächsten Warhol oder Picasso sind, experimentierten die französischen Künstler Pierre Fautrel, Hugo Caselles-Dupré und Gauthier Vernier mit dem kreativen Potenzial der Algorithmen (wie übrigens sogenannte Algoristen, bereits mitte der 90er Jahre). Im Oktober 2018 veräußerte das Auktionshaus Christie´s die Arbeit „Portrait of Edmond Belamy“, geschaffen von Algorithmen, für unfassbare 432.000 USD. Der ursprüngliche Schätzpreis wurde um das fast 45fache übertroffen.

Kunstkontext wird politischer – der Kunstbegriff dehnt sich weiter

Kunst darf unbequem sein, sie darf über sich selbst hinaus verweisen und sich universellen und auch politischen Forderungen verschreiben. Konflikte zwischen Handelsnationen wie den USA und China sowie der nun tatsächlich statt findende Brexit führen dazu, dass Arbeiten von Blue Chip-Künstler*innen nach wie vor gehalten und wenn, dann nur homöopathisch in den Auktionszyklus eingespeist werden. Ein Umdenken bei Auktionshäusern und Galerist*innen ist gefordert, um sich neue Märkte (siehe auch „Afrikanische Kunst on the Rise“) und Themenfelder (z.B. Frauen in der Kunst) zu erschließen.

Zum Jahresausklang 2019 kaperten vier unabhängige Künstler*innen, als spontan geformtes Künstlerkollektiv, den Turner-Preis, die wichtigste britische Kunstauszeichnung unter dem Dach der Solidarität. Das Baltimore Museum of Art verkündet, 2020 nur Werke von Künstlerinnen in den Bestand aufzukaufen. Und veräußerte hierfür in 2018 Werke von Warhol und anderen männlichen Kunstgrößen, um Kunst von Frauen zu erwerben, die einer Minderheit angehören. Auch das Tate Britain traf bereits 2018 die Entscheidung, vom April 2019 an ausschließlich Künstlerinnen die Kunstgeschichte der vergangenen 60 Jahre Großbritanniens repräsentieren zu lassen.

Lokal und temporär lautet eine weitere Devise der Kunstmessen und Pop-up Art Shows in 2020. Pop-up Shops agieren vermehrt als Einsteiger-Galerien mit hohem Trendbewusstsein gegenüber dem Kunstmarkt. Parallel fließt das Geld der jungen Käufer*innen online in Objekte, die im Kunstkontext (derzeit) nicht als Kunst angesehen werden.

Neue Highlights in der Kunst – Afrikanische Kunst on the rise

Das Bestreben großer Kunstinstitutionen, nicht nur auf Verkaufsebene global zu agieren und neue Perspektiven einzubinden, statt auszuschließen, öffnet den Blick auch für Kontinente, deren Kunstschaffende bisher wenig Beachtung fanden. „Get Up, Stand Up Now: Generations of Black Creative Pioneers“ – unter diesem Dach eröffnete das Somerset House in London am 12. Juni 2019 eine Ausstellung für afrikanische Kunst, Fotografie, Mode, Musik, Literatur und Design. Junge Kosmopolit*innen, inspiriert durch den afrikanischen Kontinent und ihren Wurzeln auf diesem, bündeln ihre Aufarbeitung der postkolonialen Realität ihres Landes in Kunst und Gestalt. Gleichzeitig öffnen sich westliche Kunstmetropolen und -handelsplätze neuen Perspektiven. Die Tate Modern ernannte im September vier neue Kurator*innen für internationale Kunst, zwei von ihnen die Afrikakunst-Expert*innen Osei Bonsu und Nabila Abdel Nabi. Aktuell sind zeitgenössische Arbeiten afrikanischer Künstler*innen in den Hallen einiger weniger Sammler*innen gut verwahrt. Das schafft Begehrlichkeiten und die Verknappung treibt die Preise nach oben.

Raus aus der Galerie – Kunst im Markenkontext

Kunst findet und präsentiert man auch im kommenden Jahr vermehrt an Orten, wo es mögliche Kund*innen zum Vergnügen hinzieht und die mit einem übergeordneten Lifestyle assoziiert werden. Distributionskanäle werden selektiv gewählt, Produktkollektionen künstlerisch gestaltet und regelmäßig mit dem Label „Limited Edition“ versehen. Besonders aktiv im Feld der Marken- und Kunstkooperationen sind die Wirtschaftszweige Finanzdienstleistung, Mode, Uhren & Schmuck, Automobile und höherpreisige Spirituosen.

In großen Auktionshäusern, in den Foyers internationaler Museen, bei großen Luxusmarken und in angesagten Concept Stores begegnet man Werken und Künstler*innen nun im und als Kontext von Whiskey-Sammlungen, Vintagemöbeln und Haute Couture. Im Januar 2019 brachte Sotheby’s 248 Supreme Skateboard Decks, gestaltet unter anderem von Damien Hirst, Marilyn Minter und George Condo, unter den Hammer. Louis Vuitton und Jeff Koons übertragen in der Masters Kollektion Werke von Rubens, van Gogh oder Monet limitiert auf Handtaschen und Rucksäcke. Und Grammypreisträger Swizz Beats kuratiert die von Ricardo Cavalo gestaltete „Bally Collective“ – Kollektion des Luxuslabels Bally.

Für trendbewusste Marken lohnt sich ein Bekenntnis zur Kunst nicht nur im Hinblick auf gute Verkaufszahlen. Die Fusion von Marke und Kunst steht auch für satten Imagegewinn. Die Vernetzung von Marken, Design, Auktionshäusern, Galerien und Künstler erhöht die Sichtbarkeit jedes Beteiligten. Man erweitert den Kunstbegriff in eigener Sache und erreicht Exklusivität für eine immer jünger werdende Kundschaft.

Recontextualizing of art – Kunstverkäufe in neuem Kontext

Wenn klassische Geschäftsmodelle an ihre (Ertrags)Grenzen stoßen, heißt es für Künstler*innen, Galerist*innen und Auktionshäuser: Rahmen öffnen und den Kontext der Kunst, mit der gehandelt wird, neu definieren. Die übergeordnete Frage dabei: Wie können (kunst)historische Arbeiten neuen Bietergruppen präsentiert werden, die sonst wenig bis keinen direkten Zugang zu Kunst haben? Und welches Storytelling trifft die jeweilige Lebenssehnsucht der anvisierten Käufergruppe?

Ein Londoner High Fashion Retailer kuratiert ausgewählten Schmuck und Juwelen von Sotheby’s in Kollaboration mit einem Künstler, der diese als Inspiration für seine Werke nimmt. Das Auktionshaus wiederum setzt Teile aus Victoria Beckhams neuer Modekollektion – inspiriert vom Stil der Alten Meister*innen – neben die Werke großer Künstlerinnen aus Klassizismus und Barock wie Angelika Kauffmann oder Michaelina Woutier. Oder die Auktion Bowie/Collector: standen den Bieter*innen zum Soundtrack von Ziggy Stardust: The Motion Picture 350 Stücke aus David Bowie’s Kunstsammlung von Visual Art über Keramik und Büchern zum Erwerb frei.

Galerist*innen geben eigene Magazine heraus, schließen sich mit Mitstreitern zu Kollektiven zusammen; Auktionshäuser erweitern ihre Verkaufsflächen durch Kollaborationen mit modernen Marken. Historie und Kunstfertigkeit trifft auf Street Credibility und Anerkennung in neuen Nischen des Marktes. Mit erzählerischer Präsentation werden verschiedenste Objekte, die wenn überhaupt nur noch ein loser Kunstbegriff verbindet, unter dem Eindruck eines Gesamtwerks dargeboten und verkauft. Künstler*innen aus den Bereichen Musik, High Cuisine, Literatur und Tanz schließen sich mit bildenden Künstler*innen zusammen und schaffen so ein Bewusstsein für die Gleichzeitigkeit des künstlerischen Ausdrucks und die gemeinsamen Wurzeln ihrer Arbeit in einer eng vernetzten Welt.

Kunstsponsoring und Imagetransfer – Die künstlerische Aura

Geldgebende Firmen wollen, statt ihr Logo auf einer Pressewand oder Einladungen zu sehen, vermehrt Co-Ownership und somit Einfluss was die Inhalte von geförderten Projekten betrifft. Gutes Kulturmarketing ist fester Bestandteil globaler, moderner Unternehmensphilosophie. Von BMW, Rolls Royce, Audemars Piguet bis Absolut Vodka: Sie finanzieren und gestalten ganze Messeauftritte, Institutionen, Künstler*innen und kuratieren gesamte Ausstellungen. Von Taipeh über Basel bis Miami zeigt man sich präsent durch Schirmherrschaft oder Champagnerflaschen und verknüpft das Unternehmen mit Kunst, um das eigene Produkt durch die Aura der Kreativität aufzuwerten.

BMW schickt Nachwuchskünstler auf Reisen, damit sie Ideen und neue Projekte entwickeln. Google Arts & Culture bietet drei ausgewählten Künstlern ein artist-in-residency Programm, um kreativ im Thema Vernetzung und Kommunikation zu arbeiten. Adobe sucht kreative Residents, die ihren Fokus auf Fotografie, Kurzfilm und Illustration haben. Auch das gehört zur erfolgreichen Markenführung: der Gesellschaft etwas zurückgeben, als Teil sozialer Verantwortung.

Par excellence setzt dies die erfolgreiche koreanische Boy-Band BTS (Bangtan Boys) um. Anfang Januar 2020 verkündeten die sieben Mitglieder in London an ihre Millionen Fans (Twitter: 23,8 Mio, Instagram: 22,1 Mio) den Start der weltweit ausgelegten Kunstinitiative „Connect BTS“. Mit dem Projekt, durch das fünf öffentliche Kunstprojekte mit internationalen etablierten und aufstrebenden Künstlern gefördert werden, möchten sie der großen Liebe und Unterstützung der Fans, ihrer A.R.M.Y. und des gesamten Publikums etwas zurück geben.

Gänzlich unerwartet treten Millionen junge Menschen in Kontakt mit Kunst, die sie neu interpretieren werden. Reduziert werden Hemmschwellen und elitäre Abgrenzungen. Wachsen werden Wertschätzung und Offenheit.

Viel Freude mit der Kunst!

Ihre Daniela Hinrichs