Kolumne

Erste Tage einer neuen Kunstwelt

Die alte Kunstwelt ist kaputt. Das war sie allerdings auch schon, bevor die Pandemie den analogen Kunstmarkt 2020 endgültig aus der Bahn warf. Die Käuferschaft: zu alt, zu reich, zu privilegiert und vor allem: zu klein in der Summe. Man möge sich das kurz mal vorstellen. Der ganze Kunstzirkus wurde für eine Handvoll Sammler:innen veranstaltet. Ein paar Tausend sind es weltweit. Mehr nicht.

Es ist nicht die erste Krise, auf die der Kunstmarkt heftig reagiert. Er ist Teil eines sehr eigenen Wirtschaftszyklus. Warum stellt es sich also dieses Mal für mich ganz anders dar? Weil die gegenwärtige Erschütterung nicht nur den technologischen Paradigmenwechsel sichtbar macht, sondern parallel einen Generationswechsel einläutet. Letzterer bedient die unerschütterliche, vielleicht naive Hoffnung, dass jüngere Generationen etwas aus dieser Krise machen und den Markt retten, um nicht zu sagen: ihn neu erfinden.

Es ist, zugegeben, egoistisch, diese Generationen das Erbe einer kollabierten Kunstbühne antreten zu lassen. Aber es birgt die realistische Möglichkeit, eine neue Kunstwelt entstehen zu lassen – indem man dieser Chance nicht im Weg steht. Und so ist die Zeit reif für eine Intervention: Ich finde, dem bis dato überhitzten Kunstmarkt bekommt die neue Augenhöhe gut. Lassen Sie uns mit dieser Kolumne also gemeinsam und mit Spannung in die äußerst schaffensfreudige Kunstlandschaft blicken, denn: Die Hemmschwellen, sich mit Kunst vertraut zu machen, liegen so tief wie nie zuvor.

Die nebulöse Preisgestaltung weicht einer neuen Preistransparenz. Virtuelle Showrooms und Kunstkauf-Optionen öffnen sich nun mit einem Klick. Der Umsatztrend, Kunst online zu kaufen, ist positiv messbar. Die Zahlen wachsen schnell und nachhaltig. Gatekeeper öffnen die Türen zu Insider-Informationen und neuen Räumen. Doch noch hängt die Verunsicherung wie Nebel über der neuen Kunstwelt. Wird das bleiben?

Galerist:innen sind im vergangenen Jahr voll in die Eisen gestiegen, um explodierende Kosten auszubremsen und in den ersten Monaten der Pandemie fehlende Umsätze abzupuffern. Doch die oft überschaubaren Rücklagen kompensieren diese Einbußen nur vorübergehend. Neu an dieser Krise ist, dass auch erfolgreiche Galerien und Künstler*innen die Grenzen ihrer Ressourcen erreichten. Die Top-Player auf beiden Seiten einmal ausgenommen, also jenes eine Prozent, von dem wir fälschlicherweise annehmen, es sei der Kunstmarkt. Es sind die restlichen Prozent, die kämpfen, um nicht zu dicht am Abgrund zu stehen. 2021 wird diese Kluft größer machen und nicht jede Galerie wird überleben.

Die guten Ergebnisse im Online-Verkauf geben Schwung fürs neue Jahr. Den Künstler:innen und Galerien, die eine finanzielle Vollbremsung hinlegen mussten stehen seit dem vergangenen Jahr vermehrt neue und junge Käufergruppen, zur Seite. Sie begegnen Kunst unvoreingenommen und mehrheitlich virtuell, Instagram ist hier wichtigster Kanal und zugleich Trendscout-Tool. Der Kunstmarkt wird größer, digitaler und globaler. Neu ist die komplementäre Rückbesinnung auf das Lokale, auf den eigenen Markt und die Künstler:innen vor Ort.

Und keine Sorge: Die große Frage nach dem, was Kunst ist und wohin sie sich entwickelt, wird uns weiter beschäftigen. Die Kunst dehnt sich mit der Digitalisierung und den neuen Generationen weit über ihre bisherige Definition aus. Sie wird universeller und möglicherweise unschärfer. Vielleicht weil es so leicht ist, Informationen zu beschaffen, und die Präsentationsmöglichkeiten so effizient geworden sind? Die Schaffenskraft der Künstler:innen ist ungebrochen. Es wäre doch schön, wenn wir diese Entwicklung mit unserer Kaufkraft und Faszination für die Kunst noch weiter verstärken.

Diese Kolumne wurde ursprünglich in der ersten Ausgabe des STRIVE Magazin publiziert.