Kolumne

Die wirklich sichere Kunstformel

Es ist ganz einfach. Beziehungsweise eben gerade nicht so einfach: Die Abgrenzung von Kunst und Kommerz lässt sich nicht mit fixen Linien ziehen. Das liegt an den Wechselbeziehungen, in denen die Kunst steht und an ihren eigenen volatilen Wertesystemen, die sie am Markt tragen. Der richtige Wert von Kunst entsteht dort, wo die kulturelle Ebene und der kommerzielle Horizont aufeinandertreffen. Oder anders ausgedrückt: Es ist schlichtweg eine Frage der Perspektive, nämlich der Perspektive, die Sie als Individuum einnehmen.

Seitdem die New Economy und globale Wirtschaftskrisen Anfang des 21. Jahrhunderts die
zeitgenössische Kunst immens mit monetärer Bedeutung aufgeladen haben, stecken wir mitten in dem Versuch, profane Werke in ihrem Wert von Kunst zu unterscheiden. Ein auswegloses Unterfangen? Ich sage:

Mit dieser Kunstformel kann es gelingen!

Stellen Sie sich einen dreibeinigen Hocker vor. Jedes Bein steht für ein wichtiges Erkennungszeichen eines Kunstwerkes: erstklassiges Handwerk, Schöpfer:innenkraft und Authentizität. Sie können Ihrem Hocker selbstverständlich eigene Attribute geben. Wichtig ist nur: ein fester Hocker-Stand ist für Sie das Zeichen, dass das, was Sie kaufen wollen, für Sie wertvoll ist. Ist eine Seite verkürzt, also zum Beispiel nicht authentisch, dilettantisch gemacht oder die Kopie einer Kopie, dann kippt der Wert des Kunstwerks. Für diese Fälle gibt es Tricks, um uns davon abzulenken. Drei davon kennen Sie ab sofort:

Trick 1

Mach es groß! Kunst ist erhaben, wenn wir uns klein fühlen. Groß suggeriert uns das Prädikat „gut“. Kirchen haben die architektonischen Vorteile ihrer Gebäude Jahrhunderte für sich genutzt. Wir staunen beeindruckt, wenn etwas überdimensional groß ist.

Trick 2

Mach es intellektuell! Künstlich verkopfte und über-akademische Arbeiten, denen eindeutig die Schöpfungskraft fehlt, versuchen mit intellektuell-elitären Ansätzen eine Abgrenzung zu schaffen, damit sie nicht hinterfragt werden können. Statt uns die Möglichkeit zu geben, uns mit der Arbeit intuitiv und emotional auseinander zu setzen, verpassen uns dröge Arbeiten Knoten im Kopf oder das Gefühl, keine Ahnung von Kunst zu haben. Ein uncooler Effekt.

Trick 3

Mach es laut! Provokation und kalkulierte Skandale werden gerne effektvoll eingesetzt, um über Schwächen hinweg zu täuschen. Die Provokateur:innen wissen um den wirkungsvollen Auftritt vor einer hedonistischen Gesellschaft, die gerne nach Skandalen und Überzeichnungen sucht. Bestimmte Käufer:innen wollen vom vermeintlichen Prestigetransfer profitieren: Schließlich dient es als Beweis für ihren geistig-kulturellen Status, ihre Risikofreude und ihre Vermögenssituation.

Die größte Herausforderung für Sie ist jetzt: Unterliegen Sie nicht der Versuchung, alles was groß, sachlich oder provokativ ist, vorschnell als schlechte Kunst zu deklarieren. Kunst möchte gesehen werden. Schauen sie hin und machen Sie sich Ihr eigenes Bild. Falls es Ihnen Freude macht, prüfen Sie die Kunst, die Sie gerade vor sich haben. Ist sie übertrieben oder nachlässig gemacht? Zu selbstbezogen, zu unpersönlich oder zu bemüht? Im Gespräch mit Menschen, die es wissen können, sind Sie auf dem Weg, künstlerische Fixpunkte zu finden, an denen Ihre Neugier und Aufmerksamkeit haften bleiben.

Und wenn Sie das nächste Mal neue Bewegungen am Kunstmarkt beobachten: Ziehen Sie sich doch Ihren inneren Hocker heran und nehmen Sie Platz. Von dort haben Sie einen guten Blick auf Ihren Horizont und die für Sie richtige Kunstformel.

Diese Kolumne wurde ursprünglich in der vierten Ausgabe des STRIVE Magazin publiziert.